Die Anti-Grübel-Therapie: Warum weniger denken glücklicher macht

Zu viel denken schadet dir. Das ist die Kernaussage, die sich wie ein roter Faden durch den Ratgeber „Lebe mehr, grüble weniger“ zieht. Nach 206 Seiten Lektüre bin ich überzeugt davon, dass an der ganzen Sache was dran ist.

Die Dänin Pia Callesen argumentiert, dass uns stundenlanges Analysieren und Nachdenken selten hilft. Im Gegenteil, es kann uns sogar richtig unglücklich machen. Wir grübeln uns quasi in Depressionen und Niedergeschlagenheit hinein.

Das ist nicht nur eine steile These, sondern entspringt handfesten Forschungsergebnissen und ihrer Praxis als Psychotherapeutin. Dabei dreht sich in ihrer Arbeit alles um die Metakognitive Therapie.

Metakognitive Therapie: Du kontrollierst deine Gedanken, nicht sie dich

Entwickelt wurde die Methode von dem britischen Psychologen Adam Wells. Er hatte herausgefunden, dass Ängste und Depressionen entstehen, weil Betroffene bestimmte Gedankenmuster und metakognitive Überzeugungen mitbringen. Das sind Glaubenssätze wie: „Ich kann meine Gedanken einfach nicht steuern“ oder „Ich muss viel nachdenken, um auf eine Lösung zu kommen.“

In der Metakognitiven Therapie geht es darum, diese Muster und Glaubenssätze zu durchbrechen. Wir können nicht steuern, welche Gedanken auf uns einprasseln. Manchmal kann sich das wie ein wilder Bienenschwarm im Kopf anfühlen, der völlig unberechenbar ist. Aber wir sind ihm nicht hilflos ausgeliefert. Wir können Strategien entwickeln, damit unsere Gedanken uns nicht länger beherrschen.

Die Intention in der Metakognitiven Therapie ist, „sich weniger statt mehr mit seinen Gedanken und Gefühlen zu befassen, damit es einem besser geht.“

In diesem Blogpost gebe ich dir einen kleinen Einblick in Pia Callesens Anti-Grübel-Ratgeber, inklusive Impulse und Tipps, wie du besser mit deinem Grübeln umgehen kannst.

Das Buch ist besonders interessant für dich, wenn du:

  • Therapeut, Heilerin oder Coach bist und die Metakognitive Therapie kennenlernen willst
  • ständig grübelst, zweifelst und dir Sorgen machst
  • spürst, dass deine Lebensqualität leidet, weil du den Kopf Tag und Nacht voller Gedanken hast
  • dir erste praktische Tipps holen willst, um dir die Kontrolle über deine Gedanken zurückzuholen

Grübeln kann krankmachen

Ängste und psychische Leiden wie Depressionen können entstehen, wenn wir unseren Gedanken zu viel Aufmerksamkeit schenken. Dafür gibt es sogar einen Begriff: The Cognitive Attentional Syndrome (CAS), auf Deutsch: kognitives Aufmerksamkeitssyndrom.

Darunter werden verschiedene Bewältigungsstrategien gefasst, mit denen wir uns in unsere Probleme hineinsteigern. Neben stundenlangem Grübeln gehören Sich-Sorgen-machen und andere ungeeignete Bewältigungsstrategien wie Alkohol, zu viel Schlaf und das Meiden bestimmter Situationen dazu.

Eine vierte ungeeignete Strategie des CAS, die mich besonders aufhorchen ließ, ist der häufige Stimmungscheck. Wenn wir zu oft in uns hineinfühlen, riskieren wir auf Dauer traurig und krank zu werden? Offenbar ja.

Ein Grund dafür: Achten wir besonders stark auf unsere Gefühle, registrieren wir selbst kleinste Durchhänger. Die verschwinden in der Regel von selbst. Konzentrieren wir uns aber zu sehr auf sie, schlagen wir jedes Mal Alarm, wenn wir miese Laune haben oder uns zum Weinen zumute ist.

Wir reagieren dann wie ein zu empfindlich eingestellter Rauchmelder. Plötzlich steht die Feuerwehr vor der Tür, weil wir die Frühstücksbrötchen im Ofen vergessen haben. Einen Brand gibt es gar nicht und einmal das Fenster aufmachen hätte das ganze Problem angemessen gelöst.

So ähnlich kann es uns mit unseren Emotionen gehen. Ausgiebige Innenschau birgt die Gefahr, dass wir uns in unsere Gedanken und Gefühle reinsteigern, grübeln, zweifeln, hinterfragen und Drama produzieren, das uns am Ende runterzieht.

Das Buch sagt es nicht so laut, legt aber nahe, dass Gesprächstherapien, Achtsamkeitstechniken, Meditation – alle Techniken, die den Scheinwerfer auf das Innenleben richten – nicht unbedingt die Leichtigkeit und Good Vibes bringen, die sie versprechen.

Was ist Grübeln eigentlich?

Was der Unterschied zwischen Grübeln und lösungsorientiertem, „sinnvollen“ Denken ist, das hat das Buch für mich nicht endgültig beantwortet. Es scheint mir ein schmaler Grat. Das könnten Anzeichen dafür sein, dass du in der Grübelfalle sitzt.

Du:

  • denkst immer wieder dasselbe, kommst aber zu keiner Lösung
  • hast Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen
  • kommst nicht ins Handeln
  • verbringst täglich mehrere Stunden mit dem Nachdenken und fühlst dich erschöpft und müde, vielleicht sogar depressiv
  • malst dir in deinem Kopf zukünftige Horrorszenarien aus (die so wahrscheinlich nie passieren werden) oder durchlebst in Gedanken immer wieder alte Erlebnisse (Was hast du davon?)

Konstruktive Gedanken hingegen bringen dich weiter und führen zu einem echten Ergebnis, das dir das Leben leichter macht.

Man kann kein Gedankenproblem dadurch lösen, dass man mehr darüber nachdenkt oder richtig darüber nachdenkt, nur indem man weniger nachdenkt.

Adrian Wells, britischer Psychologe und Begründer der Metakognitiven Therapie

Deine Psyche besitzt Selbstheilungskräfte

Aber was kannst du tun, wenn du dich mit deinen Gedanken im Kreis drehst und deine Probleme einfach nicht verschwinden wollen? Die Antwort ist simpel: Nichts! Denn deine Psyche kann sich selbst regulieren. Außerdem tauchen Lösungen oft dann auf, wenn du es am wenigsten erwartest. Ewiges Grübeln wirkt da nur kontraproduktiv.

Callesen vergleicht das mit einer Schürfwunde am Knie. Die wird auch nicht abheilen, wenn du immer wieder daran rumpultst. Reiß seelische Wunden also nicht immer wieder auf. Gib deinem Kopf und deinem Herzen Zeit und Raum, um zur Ruhe zu kommen. Kurz: Denke weniger nach.

Aber wie schaffe ich es, weniger zu grübeln?

Wer weniger Gedanken wälzt, wird belohnt. Mit mehr Lebensfreude und einem besseren Selbstwertgefühl (wir hinterfragen uns schließlich nicht mehr ständig!). Auch das Gehirn, das nun weniger Informationen verarbeiten muss, kann wieder Sinnvolles leisten. Du wirst kreativer, kannst dich besser konzentrieren, deine Gedächtnisleistung steigt.

Die Metakognitive Therapie hat bei der Behandlung von Depressionen laut Studien eine Erfolgsquote von circa 70 bis 80 Prozent. Dieser Anteil Betroffener gilt danach als geheilt.

Falls du gerne eine Metakognitive Therapie machen möchtest, findest du hier eine Liste mit zertifizierten Therapeut*innen in deinem Land.

Die Autorin macht zum Glück kein Geheimnis aus den konkreten Techniken. Sie erklärt uns, welche Übungen sie 1:1 in ihrer Praxis anwendet. Du kannst selbst erste Schritte nehmen, um dein Grübeln einzudämmen. Hier 2 Tipps aus dem Buch:

Feste Grübelstunde einplanen

Ihren Patient*innen verschreibt Callesen eine Art Grübel-Diät. Sie sollen das Grübeln auf eine Stunde pro Tag begrenzen und dafür ein fixes (wichtig!) Zeitfenster – z.B. zwischen 18 und 19 Uhr – festlegen. Gedanken, die außerhalb der festen Grübelzeit aufkommen, müssen warten. Sie können aufgehoben und später genauer betrachtet werden.

Losgelöste Achtsamkeit: Die Gedanken vorbeiziehen lassen

Damit (Ex-)Grübelnde ihren Gedanken zwischendurch widerstehen können, empfiehlt sie die Methode losgelöste Achtsamkeit.

Täglich haben wir um die 70.000 Gedanken. Sie kommen und gehen, das ist ganz natürlich. Wir können aber selbst entscheiden, was wir mit ihnen tun, ob wir auf sie einsteigen oder sie einfach weiterziehen lassen. Bei der losgelösten Achtsamkeit lassen wir die Gedanken einfach auftauchen und wieder gehen. Wir unterdrücken sie nicht, bearbeiten sie aber auch nicht. Vielmehr werden wir neugierige Beobachter*innen.

Mehr Details zu einzelnen Techniken und wie du dich langsam an sie herantasten kannst, erfährst du im Buch. 😉

Lohnt sich das Lesen?

Definitiv. Pia Callesen schreibt in einer knappen und klaren Sprache und das Buch ist gut strukturiert. Die vorgestellten Modelle werden mit Tabellen und Grafiken unterstützt. Spannend fand ich auch die Erfahrungsberichte Betroffener.

Ich habe den Eindruck bekommen, der Autorin liegt es wirklich sehr am Herzen, Interessierten ihr Wissen rund um die Metakognitive Therapie näherzubringen und Betroffenen erste Hilfestellungen anzubieten. Sie gibt konkrete Techniken und Tipps an die Hand, um vom Grübeln wegzukommen und das Leben mehr zu genießen.

Mir ist bewusst geworden, wie wir das Reflektieren und Nachdenken in unserer Gesellschaft zu etwas durchweg Positivem verklären. Die Forschung zeigt aber: glücklich macht das nicht! Bisher habe ich es immer genossen, in Gedanken abzutauchen und Erlebnisse durchzuanalysieren. Ich dachte, so gehe ich die Dinge richtig an. Diese Überzeugung habe ich über Bord geworfen. Wahrscheinlich werde ich mir ein neues Hobby zulegen. Oder die Zeit, die ich beim Grübeln einspare, nutzen, um noch mehr so erkenntnisreiche Bücher zu lesen. 😊

Details zum Buch:

Lebe mehr, grüble weniger von Pia Callesen – 206 Seiten – erschienen am 12. Februar 2020 – BELTZ Verlag – ISBN 978-3-407-86582-3 – Paperback – 17,95 Euro – Bei Amazon* kaufen. Hier geht’s zur Leseprobe

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